Reiterpraxis.


Wenn Dogmen in Bewegung kommen

Neue Erkenntnisse über die Biegung des Pferdes

Ist der Mensch denkfaul? Jeder von uns kennt viele Situationen des Alltags, in denen dies nicht so ganz von der Hand zu weisen ist. Auch bei der Ausbildung von Pferden und Reitern wird vieles unkritisch von Vordenkern übernommen und nur weniges kritisch hinterfragt. Ein Beispiel: die Legende von der Biegung des Pferdes.

Alle fordern es, alle machen es, und doch funktioniert es irgendwie nicht richtig: Das Pferd biegen, um es auf das innere Hinterbein zu "setzen", ist landauf, landab die Maxime bei Trainern und Reitern. Es scheint ja auch so klar und eindeutig zu sein: Die Belastungsverhältnisse der Hinterhand in der Biegung oder Wendung haben wir zum Beispiel aus Standardwerken wie Gustav Steinbrechts "Gymnasium des Pferdes" entnommen. Und wenn dort geschrieben steht, dass dem inneren Hinterbein in der Wendung vermehrte Belastung zukommt, dann mag es nur legitim sein, dies auch zu glauben.

Doch eine logische, schlüssige und verständliche Erklärung zeigt, dass genau das Gegenteil der Fall ist. In der Vergangenheit orientierte man sich zur Erklärung der Funktionalität des Pferderückens vornehmlich an der menschlichen Wirbelsäule – manches aber lässt sich nun einmal nicht so übertragen, wie es bisher angenommen wurde. Die Unterschiede liegen in der Form der Wirbelkörper begründet und betreffen ihre Beweglichkeit in den einzelnen Ebenen. In der vertikalen Ebene, also bei der Biegung nach oben (rückwärts) und unten (bauchwärts), besteht bei der Wirbelsäule des Pferdes eine gute Beweglichkeit. Die Bewegung in der horizontalen Ebene allein, die Biegung nach links und rechts, die ja bei der biegenden Arbeit meist gemeint und laufend benötigt wird, ist dagegen erstaunlicherweise nur sehr eingeschränkt möglich: Sie wird durch die Gelenkverbindungen zwischen den einzelnen Wirbelkörpern weitgehend verhindert. Die reine Beweglichkeit der Wirbelsäule in sich entlang der Längsachse – also ein Verdrehen oder Rotieren – ist aufgrund anatomischer Gegebenheiten ebenfalls nur sehr begrenzt.

Wie aber funktioniert dann die seitliche Biegung, die doch immer wieder gefordert wird? Schauen wir uns zunächst die Bewegungsmöglichkeiten der Wirbelsäule anhand eines einfachen Brettes an, das in verschiedene Richtungen gebogen wird: Bei seitlicher Biegung des Brettes tritt gleichzeitig eine Biegung nach oben oder unten in Verbindung mit einer Rotation auf. Die mittlere der nebenstehenden Zeichnungen zeigt, wenn wir uns an dem einen Ende des "Brettes" noch einen Pferdekopf und am anderen Ende das Becken dazu denken, in schöner schematischer Darstellung einen Pferderücken in der Versammlung. Man kann sich nun leicht vorstellen, dass das Becken am Ende des Brettes ein wenig mitrotiert, wodurch die innere Hüfte angehoben wird. Genau dieser Vorgang ist es aber, der dazu führt, dass nicht das innere, sondern das äußere Hinterbein vermehrt gebeugt und somit größerer Belastung ausgesetzt wird!
 


Die Biegsamkeit der Wirbelsäule lässt sich gut mit der eines langen Brettes vergleichen: Es zeigt sich, dass eine rein seitliche Biegung so gut wie unmöglich ist, sondern immer auch eine gleichzeitige Rotation stattfindet. Die Dornfortsätze der Wirbelsäule (hier: Nagelspitze) werden dabei ebenfalls seitlich gedreht.
 
Zeichnung: Kotzab

Ein von den Gesetzen der Physik ebenso wie von der modernen Pferdemedizin geprägtes Buch mit völlig neuen Erkenntnissen über die Biegung und Versammlung des Pferdes hat der Wiener Tierarzt Dr. Erich Kotzab geschrieben. Seit seiner Kindheit hatte er in der elterlichen Reitschule die Gelegenheit, Pferde zu studieren und bildete später selbst Pferde aus. In seiner tierärztlichen Praxis zeigten sich sehr bald die schulmedizinischen Grenzen in der Diagnose und Behandlung bei außergewöhnlichen Fällen, sodass Erich Kotzab ein Studium der Akupunktur und chinesischen Kräutermedizin bei der International Veterinary Acupuncture Society anschloss. Die feinere fernöstliche Medizin sowie osteopathische Techniken beantworteten ihm viele der offenen Fragen. So genannte „Problempferde“ sind seit langem sein Spezialgebiet. Sein Motto: Unverständnis und Gefühllosigkeit werden unweigerlich Probleme schaffen, während Einfühlungsvermögen, Geduld, Verständnis und Wissen geeignet sind, Probleme zu lösen.