Aus einem gut sitzenden Reiter mit perfekter Einwirkung und dem besten Pferd wird noch lange kein Olympiasieger. Es gibt viele weitere Faktoren, die Erfolg erst möglich machen.
Der Außenseiter schafft den Überraschungssieg, der Favorit landet weit abgeschlagen auf einem hinteren Platz. Wir alle kennen das vom ländlichen Turnier vor der Haustür ebenso wie von den Olympischen Spielen. Während wir uns fragen, wie das bloß passieren konnte, wundern sich Mentaltrainer überhaupt nicht. Denn Erfolg ist mehr als Können und Zufall. Erfolg kann man wollen, und Erfolg ist planbar.
Das Mentaltraining – in anderen Sportarten seit Jahrzehnten Gang und Gebe – beginnt in der Reiterei immer noch erst sehr langsam Fuß zu fassen. Dabei ist das, was sich zwischen den Ohren abspielt, gerade in unserem Sport so wichtig. Ein Zögern, eine Unsicherheit beim Einreiten in das Viereck oder den Parcours, genauso aber auch beim Ausritt, und schon lässt sich unser Pferd von uns anstecken. Das Ergebnis ist bekannt.
Selbstvertrauen ist nichts, was uns in bestimmter Menge von Geburt an mitgegeben und unveränderlich ist, sondern ist genauso erlernbar wie das Leichttraben oder die korrekte halbe Parade. Ganz normal ist außerdem, dass unser Selbstvertrauen, ganz gleich auf welchem Leistungsniveau wir reiten, immer wieder erschüttert wird: durch ungewohnte Situationen, größere Herausforderungen und kürzlich erlebte Rückschläge.
„Es gibt Reiter, die in der Halle locker einen A-Parcours springen. Wenn sie aber den gleichen Parcours auf einem Turnier draußen auf dem Turnierplatz reiten sollen, gerät ihr Selbstvertrauen ins Wanken“, sagt Robert Schinke, international erfolgreicher Mentaltrainer und einst selbst Mitglied der kanadischen Vielseitigkeitsequipe. Die begleitenden Umstände und vor allem ihre Interpretation durch den Reiter spielen also eine große Rolle.
Es gibt natürlich Fälle, in denen es keine passende vergangene Erfahrung gibt, an die man sich erinnern kann – zum Beispiel, wenn man noch nie vorher gesprungen ist. Jeder Reiter ist immer wieder einmal mit einer für ihn persönlich völlig neuen Situationen konfrontiert. Doch dann gibt es auch immer andere Reiter, die genau diese Herausforderung schon gemeistert haben und an denen man sich orientieren kann; oder es gibt fachkundige und vor allem glaubwürdige Menschen, auf deren Rat und Hilfe man sich verlassen kann. Und garantiert gibt es zumindest Wege, um die eigenen Gedanken und Gefühle so zu steuern, dass die Aussicht auf Erfolg steigt. Die entscheidenden Stichworte hier sind Selbstkontrolle und Optimismus.
„Es darf nicht unterschätzt werden, wie wichtig die Kontrolle der eigenen Nerven, der Atmung und des Denkens ist“, betont Schinke. Schlechte Selbstkontrolle geht oft einher mit einem Verlust von Beherrschung – gerichtet gegen das Pferd, gegen den Trainer, die Familie oder Freunde.
Am Ende ist man frustriert über sich selbst, Vertrauensverhältnisse haben einen Knacks und das Selbstbewusstsein ist im Keller. Einen wichtigen Teil der Arbeit eines Mentaltrainers macht daher die Vermittlung von Strategien aus, die den Reiter in die Lage versetzen, nicht nur technisch, sondern auch emotional beständige Leistungen zu erbringen.
Viele Reiter liefern die verschiedensten Gründe, warum sie in einem bevorstehenden Turnier auf Schwierigkeiten stoßen werden. Dressurreiter beklagen sich über die Richter, Springreiter bemängeln den Boden des Parcours, Geländereiter haben am Streckenaufbau etwas auszusetzen … Die problematische Konsequenz dieser Gedanken: Die Reiter strengen sich weniger an. Warum auch sollte man sich bemühen, wenn die Erfolgschancen ohnehin so gering sind? Wirklich vorankommen wird man auf diese Weise allerdings nicht. Warum also nicht mal die Herausforderung positiv sehen? Sich auf seine Stärken besinnen und sie gezielt einsetzen? Die eigenen Ziele hinterfragen und dementsprechend handeln?
Mentales Training, so Experte Schinke, hat viele Facetten. Vorstellungskraft spielt ebenso eine Rolle wie erfolgreiches Selbstmanagement, der richtige Umgang mit Angst ebenso wie eine durchdachte Trainings- und Turnierstrategie. Besonders wichtig ist Schinke allerdings das, was er als den „Anfängergeist“ bezeichnet. „Erinnern Sie sich noch an das Kribbeln, das Sie vor ihren allerersten Reitstunden verspürt haben?“, fragt Schinke. Diesen Enthusiasmus, diese Leidenschaft für den schönsten Sport der Welt zu bewahren, das, so Schinke, ist wohl die wichtigste Aufgabe für jeden Reiter – ob Freizeitreiter oder künftiger Medaillengewinner. «««