Reiterpraxis.


Selten tölten sie schöner

Mit seinem Levelsystem bildet Reynir Adalsteinsson nicht nur Islandpferde, sondern auch ihre Reiter bis zum höchsten Niveau aus – mit feinen Hilfen, klarem Konzept und großem Erfolg.

Ein Islandpferd zu reiten heißt, ein bestimmtes Lebensgefühl zu genießen. Die Wuschelmähne vor sich, die weichen, vibrierenden Bewegungen des Tölts unter sich – wer das auch nur einziges Mal selbst erlebt hat, kann verstehen, warum die Isi- Szene wächst und wächst.

Doch so einzigartig, menschenbezogen und gelehrig diese Rasse auch sein mag: Auch Reiten auf die isländische Art erfordert eine Menge Wissen und Können. Die Folgen des anders lautenden Irrglaubens bekommt man leider gelegentlich zu Gesicht: Pferde mit scharfen Gebissen im „Schweinepass“, schlecht bemuskelt und nur entfernt an den Bilderbuchisländer erinnernd.

Einer, der sein Leben dem Islandpferd und seinen Reitern gewidmet hat, ist Reynir Adalsteinsson, ein Original seines Heimatlandes, isländischer Reitmeister und vielfacher Welt- und Europameister der Islandpferdereiter. Wenn Reynir, wie er von seinen Schülern weltweit genannt wird, reitet, dann sieht es manchmal so aus, als würden er und das Pferd gemeinsam meditieren. Dieser Mix aus vollkommener Harmonie und höchster Konzentration macht auch seinen Unterricht aus, lässt Reiter aus aller Herren Länder zu seinen Kursen pilgern und mit mehr Feingefühl und einem klaren Konzept wieder abreisen.

Mit Sinn und Verstand

„Es ist wichtig, sowohl die psychischen als auch die körperlichen Belange der Pferde stärker zu berücksichtigen“, sagt Reynir, Bürger eines Landes, in dem die Pferde traditionell schlicht und einfach Arbeitstiere waren und von denen man so viele zur Verfügung hatte, dass es auf das einzelne Pferd nicht so sehr ankam. Als Reynir sein Ausbildungskonzept entwickelte, kam das in Island einer kleinen Revolution gleich. Heute, einige Jahrzehnte später, hat er seine Erfahrungen in einer Lehrmethode, dem Levelsystem, zusammengefasst.

„Ohne das Wesen des Pferdes wirklich zu verstehen, kann ich es nicht ausbilden, ja nicht einmal korrekt führen. Und die meisten Probleme haben ihren Ursprung in der mangelhaften Grundausbildung“, begründet Reynir seinen umfassenden Ansatz, der den Schülern nicht nur den richtigen Sitz und die korrekten Hilfen vermittelt, sondern zum Beispiel bereits damit beginnt, dass sich seine Schüler Wissen über die Sinneswahrnehmung des Pferdes aneignen.

Fünf aufeinander aufbauende Levels hat Reynir entwickelt, die dem Islandpferdereiter Orientierung und das nötige Handwerkszeug geben, um stufenweise sich selbst zu schulen und später sein Pferd mit feinen Hilfen und auf schonende Art und Weise mit tragfähigem Rücken weiter auszubilden. Um Qualitätsstandards sicherzustellen, führt Reynir auf seinen Kursen nach entsprechender Vorbereitung die begehrten Levelprüfungen durch. Wer meint, er käme mit seinem Können mal eben locker bis Level 4, wird nicht selten eines Besseren belehrt. Nach den „Basics“ aus Level 1 und 2 steht ab Level 3 die Schulung des Pferdes im Vordergrund. Ein wichtiger Aspekt ist hier die Bodenarbeit, mit der das Pferd lernen soll, vertrauensvoll auf feinste Signale zu reagieren und außerdem sein Gleichgewicht zu festigen. „Die Arbeit an der Hand hat den großen Vorteil, dass wir das Pferd, wenn wir neben ihm stehen oder gehen, wesentlich besser beobachten können als vom Sattel aus. Wir können auf die Feinheiten achten, auf den Ausdruck des Pferdes, das Spiel seiner Ohren, auf seine Augen und auf seine Aufmerksamkeit insgesamt“, betont Reynir.

So lernen es beide:
Ohne äußeren Zügel geht nichts

Eine der Übungen lehrt zum Beispiel Reiter und Pferd die Bedeutung des äußeren Zügels, der in vielen Lektionen eine sehr wichtige Rolle spielt und entscheidend für die Geraderichtung und einen gleichmäßigen Kontakt zu beiden Zügeln ist. „Wir beginnen diese Übung im Halten“, erklärt Reynir.

„Den äußeren Zügel und die Gerte halten wir in der Hand, die näher am Pferd ist. Die Gerte lassen wir nach unten zeigen und den Zügel führen wir nach hinten in Richtung Widerrist. Wenn das Pferd bei leichter Innenstellung innen leicht geworden ist, treiben wir es mit der Gerte an der Flanke vor und führen es mit dem Zeigefinger der anderen Hand am Gebissring vorwärts.

So lassen wir es Schritt für Schritt in eine passend große Volte gehen, damit es sowohl seine Biegung als auch sein Gleichgewicht hält.“

Bei leichtem Kontakt zum inneren Zügel sollte das Pferd Hals und Kopf zum äußeren Zügel ein wenig fallen lassen und dabei im Genick weich werden. Es ist sehr wichtig, dass das Pferd im Gleichgewicht bleibt und nicht zu viel Gewicht auf die Vorhand bringt, passend aufgerichtet ist und mit dem inneren Hinterbein unter den Schwerpunkt tritt. Mit wachsender Erfahrung schafft es der Reiter schließlich, dem inneren Hinterbein beim Abfußen einen leichten Impuls zu geben und das Pferd zu veranlassen, noch ein wenig weiter unter den Schwerpunkt zu treten.

Kadenz für den Rennpass

In Reynirs Levels 4 und 5 geht es um Stichworte, die unter Islandpferdereitern viel zu selten zum Thema werden: Kadenz, Versammlung und Tragkraft sind keineswegs Anforderungen, denen die sympathischen Fünfgänger nicht gewachsen sind – im Gegenteil: Wer pferdeschonend und harmonisch tölten oder Rennpass reiten will, braucht ein gut ausbalanciertes, auf feinste Hilfen reagierendes Pferd. Und deshalb stehen erst einmal Lektionen wie Schulterherein und Rückwärtsrichten, die Doppellongenarbeit oder das Cavalettitraining auf dem Programm.

Was Reynir außerdem sehr wichtig ist: „Es liegen Welten zwischen Temperament und Aufgeregtheit. Temperament ist mehr eine freudige Spannung, die das Pferd empfindet, bei der es trotzdem gelassen bleibt und die nicht unbedingt daran gemessen werden kann, ob das Pferd immer laufen will. Pferden, denen es von der Veranlagung her an Temperament fehlt, müssen wir durch unsere reiterliche Einwirkung Temperament verleihen. Oft reicht es aber bereits aus, den Ausbildungsprozess zu verlangsamen, um bei solchen Pferden Energie und Konzentration zu fördern.“

Die Reiterei, sagt Reynir, stütze sich auf drei Säulen: Talent, Gefühl und Erkenntnisse der Wissenschaft. „Die Qualität der Pferde ist heute so exzellent, dass es in erster Linie auf den Reiter ankommt – das ist echte Reitkunst!“ «««

„Das große Dilemma der Reiterei ist, dass das Pferd trotz unserer intellektuellen Überlegenheit viel schnellere Reaktionen hat als wir. Um diesen endlosen Missverständnissen aus dem Weg zu gehen, müssen wir ruhig bleiben und wenig auf einmal tun. Dann kann sich das Pferd unserer Langsamkeit anpassen.“ Reynir Adalsteinsson

Reynirs Levelsystem:
Schritt für Schritt zum Islandpferdeprofi

  • Level 1:
    • Die Geschichte des Pferdes
    • Wesen und Verhalten
    • Satteln, Auftrensen, Führen
    • Der Sitz des Reiters
  • Level 2:
    • Die Sinneswahrnehmung des Pferdes
    • Gangarten
    • Hufschlagfiguren
    • Übungen zur Hilfengebung
  • Level 3:
    • Skala der Ausbildung
    • Bodenarbeit
    • Reiten von Tempowechseln,
    • Übergängen und Wendungen
  • Level 4:
    • Reitkunst – über Kadenz und Harmonie
    • Arbeit an der Doppellonge
    • Schulterherein
    • Cavalettiarbeit
  • Level 5:
    • Versammlung
    • Passprüfung
    • Einreiten von Jungpferden